Liebe Gemeinde, Tag zusammen!
Lange habe ich mich nicht gemeldet, aber jetzt kann ich nicht mehr schweigen.
Gibt es eigentlich noch irgendwas, worauf man sich verlassen kann?
Amerika? – Möööp (Buzzer drückt NEIN)
Die Briten? – Möööp
Vielleicht zumindest Fußball? – Doppelmöööp
Ist das das vielbeschworene Zeitalter des Wassermanns, in dem der Mensch seinen angeborenen Herdentrieb zugunsten des eigenen Bewusstseins aufgibt? Dann Prost Mahlzeit!
Denn jetzt soll auch noch die Lindenstraße dicht machen? Sagt mal, geht’s noch? Und was bekommt man jetzt nicht alles zu lesen: „Wie? Sparzwang? Hat der Schrott etwa auch noch was gekostet?“ Oder: „Hab ich zwar nie gesehen, ist aber doch bestimmt besser als das, was dann auf den Sendeplatz kommt.“ Oder: „Miefig, piefig, spießig.“ Soso. Dann sind die Leute wohl alle so hipp, dass ihnen aktuelle Themen eindeutig zu spießig sind. In Wahrheit sind es nämlich diese, die die Lindenstraße viele Anhänger gekostet hat. Erst kam eine Neverending Story über eine Flüchtlingsfamilie. Allerdings reisten die aus Tunesien als Wirtschaftsmigranten ein, was auch den geneigten und Geißendörfer-erfahrenen Zuschauer verwundert haben dürfte. Der Einzug eines recht ansehnlichen jungen Mannes, der sich im Laufe der Wochen als Transgender outete und seitdem als Frau durch die LiStra wandelt, hat dann aber doch vielen den Rest gegeben.
Dabei ist es doch gerade das, was die Serie immer ausgemacht hat: den Finger in die gesellschaftliche Wunde, sodass es beim Zusehen oft weh tat. Dazu gerne ein etwas zu großer Schuss 68er Gedankengut, der heute nur noch selten in der Öffentlichkeit ausgeschenkt wird. Menschen achten und Haltung zeigen, das ist doch die LiStra! Aber heute offenbar nicht mehr gefragt, wohl zu spießig, merkwürdig…
Ihre besten Momente hat die Serie immer in den stillen Momenten. Nirgends im deutschen Fernsehen wird so einfühlsam gestorben. An Nr. 1 steht für mich dabei der Tod des Roberto Buchstab, obwohl der Zuschauer überhaupt nicht dabei war. Einfach auf dem OP verblutet. Noch heute denke ich an Roberto, wenn Nelly Furtado im Radio „All good things“ quakt. Oder gerade neulich, als Timo Zenker (verhinderter Ex-Terrorist und verhinderter Kuckucksvater) durchgedreht ist. Was hätte das mit seinem großen Messer in der Hand für ein Gemetzel werden können? Aber nein, er hält das Meser einfach nur in der Hand, und der allzeit bereite Prepper verletzt sich damit quasi selbst.
Und nun soll also mit den kleinen und manchmal auch großen Dramen Schluss sein, was selbstredend das eigentliche Drama darstellt. Car-Man ist untröstlich, und ich finde es auch nicht witzig. Lieber WDR, wenn’s ums Geld geht, dann stellen wir beide uns lebenslang als Statisten zur Verfügung. Gegen Spesen, versteht sich. Wir bringen auch für Einstellungen im Akropolis unser eigenes Gyros bzw. einen Salat mit und können auch hinter der Kamera irgendwie aushelfen, vielleicht Schnittchen machen oder so.
Diejenigen, denen an meiner persönlichen Ausgeglichenheit gelegen ist, dürfen sich gerne an einer Petition zum Erhalt der einzigen deutschen Endlosserie mit etwas Anspruch beteiligen, klickt dazu hier:
https://www.openpedition.de/pedition/online/lindenstrasse-muss-auch-nach-maerz-2020-weitergehen
Wenn nun aber wirklich alles zuende gehen sollte, dann bitte à la Unsre kleine Farm, wo die Bewohner ihre selbst aufgebaute Stadt (mit Ausnahme der Kirche natürlich) unter Tränen in die Luft sprengen, anstatt sie den Kredithaien zum Fraß vorzuwerfen. Für die Lindenstraße stelle ich mir sowas wie einen kapitalen Flugzeugabsturz vor, dann könnte man die Villa Dressler und die Wohnungen in der Kastanienstraße gleich mit erledigen.
Aquarius, go home!